Statio vom 23./24.1.2016
1. Lesung: Neh 8.2-4a.5-6.8-10; 2. Lesung: 1 Kor 12, 12-14.27; Evangelium: 1,1-4; 4,14-21
Liebe Gemeinde,
in einer Kirche auf den Philippinen war was los. Ich habs
gesehen im Internet: Der Pfarrer fährt auf einem Hoverboard durch die Kirche (das
ist so eine Art Skateboard, das von alleine fährt). Dabei singt er der Gemeinde
ein Weihnachtslied. Stellen Sie sich das hier mal vor mit Pfarrer Jürgens… Singen
kann er ja. Aber eine Showeinlage im Gottesdienst? Manche finden das bestimmt klasse. Endlich mal was los! Der Bischof
auf den Philippinen fand das gar nicht gut. Hat den Pfarrer erstmal suspendiert. Im
Internet wurde protestiert: Typisch Kirche. Total verbohrt. Kein Wunder, dass
da keiner mehr hingeht – zum Gottesdienst.
Auch andere können mit Gottesdienst nichts anfangen. Sie
sagen: „Das ist doch alles fromme Soße! Was hat uns dieser Jesus schon
gebracht? Die Welt ist heute nichts besser als vor 2000 Jahren!“ – Ehrlich gesagt: Das denk ich
manchmal auch. Im Evangelium sagt Jesus heute: „ich bin gesandt, damit ich den Armen eine gute Nachricht bringe; …
damit ich die Zerschlagenen in Freiheit setze und ein Gnadenjahr des Herrn
ausrufe.“ Und am Ende setzt er noch eins drauf: „Heute hat sich das Schriftwort, das ihr eben gehört habt, erfüllt“.
Super! Wenn ich die Nachrichten anmache, sehe ich was ganz
anderes: Krieg und Terror. Und der kommt immer näher. Anschläge in Paris, Istanbul und anderen Orten. Menschen flüchten
zu uns. Die Stimmung schlägt um. Nicht erst seit Silvester in Köln. Es wird öffentlich
gehetzt – auf der Straße und im Internet. Und in dieser Situation erscheint eine
Neuauflage von Hitlers „Mein Kampf“. Zwar mit Kommentaren, damit man draus
lernt. Aber ich fürchte, das ist Nahrung für AfD, Pegida und Konsorten. Mir macht das Angst! Ich sehe nichts von einer besseren Welt,
wie Jesus sie verspricht.
Und in der Lesung heißt es heute: „Macht euch keine Sorgen; denn die Freude am Herrn ist eure Stärke.“
Ist das nicht fromme Soße für die bittere Wirklichkeit? Gottesdienst als Seelenvertröstung? Was können alte Bibeltexte uns heute noch sagen? Wozu das
ganze Spektakel mit den Riten und Gebräuchen, die kaum einer versteht? Meine Antwort: Mit Gottesdienst können nur Menschen etwas
anfangen, die auch mit Gott etwas anfangen können. Denn Gottesdienst ist Gottes Dienst an uns Menschen. Der Dienst, den Gott uns erweist, ist: Neuanfang zur
Freiheit.
Die Menschen in der ersten Lesung haben das erkannt. Sie
stehen vor so einem Neuanfang. Das Volk Israel ist zurückgekehrt ins Land
Kanaan. Ins verheißene Land. – Viele Jahre waren sie im Exil in Babylon.
Endlich sind sie frei. Allerdings: zuhause steht kein Stein mehr auf dem
anderen. Alles Chaos. Sie brauchen wieder ein Fundament, das trägt. Nicht nur
für die Häuser. Auch für ihr ganzes Leben. So eine Art Grundgesetz, das ein Leben
in Freiheit garantiert. Einen wirklichen Neuanfang.
Vielleicht erinnert sich da manch einer an die Zeit in
Deutschland – nach dem zweiten Weltkrieg: Mit unserer Verfassung gab es auch einen
Neuanfang. Aussicht auf eine bessere Welt. Regierte vorher die Menschenverachtung
von Hitlers „Mein Kampf“, gilt nun der Artikel 1 des Grundgesetztes: „Die Würde
des Menschen ist unantastbar.“ - Die Würde jedes Menschen!! 1949 wurde er möglich: der Neuanfang zur
Freiheit.
Das Grundgesetz des Volkes Israel ist das Gesetz Gottes – die
zehn Gebote. Am Berg Sinai hat Gott damit seinen Bund mit ihnen geschlossen. Das
war nachdem er sie zum ersten Mal befreit hat. Der Bund heißt: „Wenn ihr eure
Freiheit bewahren wollt, dann werdet ihr meine Gebote halten.“
Jetzt sind sie wieder in der gleichen Lage. Und erkennen: Früher
hatten sie sich nicht an das Gesetz Gottes gehalten. Sie werden unfrei. Gott aber bleibt treu. Hat sie erneut befreit. Und nun stehen
sie da und hören das Gesetz Gottes. Was ihre Vorfahren mit Gott erlebt haben,
wird vorgelesen. So, wie wir das heute noch tun – jetzt im Gottesdienst: in der
Lesung und im Evangelium.
Die ganze Situation der ersten Lesung erinnert an unseren Wortgottesdienst.
Unsere Riten und Gebräuche stammen ja aus dem jüdischen Synagogengottesdienst.
Nach Jesu Auferstehung haben die Jünger den weiterhin gefeiert. Und dabei das Brot
gebrochen, wie Jesus es ihnen aufgetragen hat. Unsere Feier heute hat also eine
lange Tradition. Sie zeigt uns, wer wir sind und zu wem wir gehören: Zu Gott.
Im Gottesdienst danken wir ihm für den Dienst, den er schon
längst an uns getan hat. Wir stellen uns unter sein Gesetz und bekennen uns zur
Freiheit, die er uns schenkt. Mit ihm können wir immer wieder neu anfangen.
Denn er selbst hat in Jesus einen Neuanfang mit uns gemacht. Wenn Jesus im
Evangelium heute sagt: „Ich bin gesandt,
damit ich ein Gnadenjahr des Herrn ausrufe.“, dann verspricht er solch einen
Neuanfang zur Freiheit. In einem Gnadenjahr oder Sabbatjahr sollte es alle 50
Jahre einen Schuldenschnitt geben. Ganz wörtlich. Wer durch Schulden in
Abhängigkeit geriet, sollte wieder neu anfangen können. Jesus meint das im übertragenen
Sinn. Denn auch moralische Schuld macht unfrei. Aber Gott verzeiht die Schuld. Befreit
von allem, was einen gefangen hält. Jesus verkündet diesen Neuanfang zur
Freiheit. Und im Evangelium geht er noch weiter. Er sagt: „Heute hat sich das Schriftwort, das ihr eben gehört habt, erfüllt.“
Das heißt: Wer sich vom Wort Gottes treffen lässt, für den wird dieser Neuanfang
zur Freiheit Realität. Er wird das Wort Gottes nicht nur hören, sondern auch tun.
Wer zum Beispiel die zehn Gebote hält, wird nicht mehr von Macht, Geld und
Habenwollen regiert. Das macht innerlich frei und gewährt Freiheit und Würde der
anderen.
Ich wage mal eine Utopie:
Wenn alle Menschen so handeln würden, sähe die Welt anders
aus.
· Die Reichen würden nicht immer
reicher – auf Kosten der Armen.
· Niemand müsste aus Angst um sein
Leben flüchten.
· Keine Frau müsste befürchten, in
ihrer Würde verletzt zu werden.
· Niemand würde unterdrückt,
missbraucht und gedemütigt…
Alles Utopie? Vielleicht. Aber Utopia ist ja eine Welt, die
es noch nicht gibt, die es aber geben müsste. Doch wenn viele kleine Leute
viele kleine Schritte tun, dann kann das das Gesicht der Welt verändern.
[Während der Schützenmessen:Und das hat sich das Schützenwesen ja auch auf die Fahne
geschrieben. „Glaube – Sitte – Heimat“ sind keine toten Buchstaben. Wer diese Tradition
lebt, gestaltet das Allgemeinwohl mit. Zu Recht gilt das nun als Weltkulturerbe:
Das Gesicht der Welt verändern…]
[Und] damit kann man jeden Tag einen neuen Anfang machen.
Der Gottesdienst hilft mir dabei. Ich lasse mir zusagen, was Gott für mich getan hat. Das
stärkt mich, wenn ich versuche, mich einzusetzen für eine bessere Welt. Im Gottesdienst brauche ich das Gefühl, dass ich Gott
begegnen kann. Dafür brauche ich keine Supershow und auch kein
Unterhaltungsprogramm. Ich brauche einfach Menschen, die mit mir und für mich beten.
Egal, ob am Altar oder in der Bank. Menschen, mit denen ich im Glauben verbunden bin. Und die nicht sich selbst in Szene setzen, sondern Gott. Denn wir sagen ja Danke für: Gottes Dienst.