Sonntag, 6. Dezember 2015

Glaube ist Heimat und Aufbruch


Statio C2A2015 – 5./6.12.2015
Zur Predigtreihe im Advent: Heimat - Aufbruch

Liebe Gemeinde,

gehen Sie heute Abend zum Nikolausumzug?
Oder lieber nach Hause zum Backsmann essen?
Als ich nach Stadtlohn kam, kannte ich den Backsmann gar nicht. Bei uns zu Hause hieß der Stutenkerl. Am liebsten hatte ich den mit der Pfeife aus Ton. Da konnte man Watte rein stopfen und schon mal so tun, wie die Großen. Immer wenn ich so einen Backsmann sehe, dann denke ich zurück: An Kindertage zu Hause. Heimatgefühl. Einen Nikolausumzug gab es bei uns auch nicht. Dafür haben wir am Abend einen Stiefel aufgestellt und gehofft, dass der Nikolaus kommt. Andere Orte, andere Traditionen. Beide bieten Heimat.
 
Heimat ist, wo ich mich auskenne. Wo vertraute Menschen leben. Etwas, mit dem ich mich identifiziere. Heimat gibt Sicherheit und Geborgenheit. Wenn ich so manche Familie aus Stadtlohn höre, dann scheint das Backsmannessen dafür ein Zeichen zu sein. Selbst erwachsene Kinder kommen extra dafür nach Hause. Am Nikolausabend geht es in die Heimat.
 
Der Nikolaustag hatte für mich aber auch so seine Schattenseiten. Tage vorher hörte ich oft von den Erwachsenen: „Pass ja auf, dass du immer lieb bist. Der Nikolaus guckt durchs Fenster. Und sieht alles.“ „Wenn du nicht artig bist, dann bringt er nichts.“ Oder: „Sei schön brav. Der Nikolaus hat alles in seinem Buch aufgeschrieben.“ Ähnlich scheint das heute noch zu sein. Letzte Woche erzählten mir Kinder, sie hätten Angst vor dem Knecht Ruprecht. Der würde Kinder mit der Rute schlagen und steckt sie dann in seinen Sack. Was macht man da eigentlich mit dem heiligen Bischof Nikolaus? Verehrt wird er doch als Schutzpatron – vor allem der Kinder. Er soll Menschen in Hungersnot geholfen haben. Besonders den Kindern. Der, der barmherzig war, wird zum Big-brother, zur Strafinstanz, zum Erziehungsmittel.
 
Wenn ich so recht überlege: Wurde das früher nicht auch mit Gott gemacht? Der liebe Gott, der alles sieht … Der alle Fehler genau registriert… Und am Ende gibt’s die Abrechnung… Gott als Bestrafer und oberster Richter… So haben ihn viele früher kennen gelernt – in Kindertagen. Eine Frau – etwa so alt wie ich – sagte mir letztens: „Ja irgendwie – glauben tue ich wohl. Aber mit dem Gott, den ich als Kind kennen gelernt habe, kann ich nichts anfangen.“ Inzwischen hat sie sich von der Kirche verabschiedet. Hat ihre religiöse Heimat verloren. Andere bleiben und leiden. Sind zuhause in einer Religiosität die unfrei macht. Die sie von einem glücklichen Leben abschneidet.
 
Abschied vom Glauben oder Leiden an Gott. Mögliche Ursache: ein krank machendes Gottesbild. Eines, das nichts zu tun hat mit dem Gott Jesu Christi. Jesus nennt Gott Abba – lieber Vater. Und er bezeugt: Gott ist die Liebe. Er schenkt das wahre Leben.
Aber manche Menschen bleiben verhaftet in einer Religiosität, die Angst macht. So haben sie es von klein auf kennen gelernt. Manche bleiben dabei – aus Tradition. Im Gewohnten kennt man sich aus. Hat sich damit identifiziert – oder arrangiert. Auch wenn es nicht gut tut. Man hält dran fest. Aus Angst, seine religiöse Heimat zu verlieren. Manche Menschen gehen an einem falschen Gottesbild zugrunde. Werden krank. Andere verabschieden sich innerlich. Der Glaube geht zugrunde.
 
Wenn man in seiner Heimat nicht umkommen will, muss man aufbrechen. Im wörtlichen Sinn haben das die vielen Flüchtlinge getan. Sie sind aufgebrochen und einen riskanten Weg gegangen. Manchmal auch durch die Wüste. Im übertragenen Sinn gilt das gleiche: Wenn ich den wahren Gott finden will – den Gott Jesu Christi – muss ich immer wieder aufbrechen. Aufbrechen aus Gewohnheiten im Denken und Tun. Gewohnheiten, die mir Heimat geben. Das ist riskant. Denn ich weiß ja nicht, was da kommt. Oft folgt eine trockene Zeit im Glauben. Wüstenzeit.
 
In der Bibel ist die Wüste der Ort der Bewährungsprobe. Symbol für eine schwere Zeit. Zeichen der Heimatlosigkeit. Andererseits ist die Wüste ein Ort der Gottesbegegnung. Dort ist es still. Nichts lenkt ab. Ich werde aufmerksamer. Nur so hat Gott eine Chance bei mir und gibt sich zu erkennen. Mir ebenso wie dem Mose im Dornbusch. Dem Volk Israel in 40 Jahren Wanderschaft. Und auch im heutigen Evangelium. Es erzählt von Johannes dem Täufer. Er hat seine Heimat verlassen. Ist auf der Suche nach einer neuen Art zu Glauben. Im Evangelium heißt es: „Da erging in der Wüste das Wort Gottes an Johannes.“ Johannes hört auf Gottes Wort. Und lässt sich von ihm berufen. Am Jordan bereitet er die Menschen auf das Kommen Jesu vor. So, wie es der Prophet Jesaja gesehen hat: „Eine Stimmt ruft in der Wüste: Bereitet dem Herrn den Weg! Ebnet ihm die Straßen! … Und alle Menschen werden das Heil sehen, das von Gott kommt.“
 
Auch uns fordert das Evangelium auf, Gott den Weg zu bereiten. Uns dem Gott zu öffnen, der in Jesus auf die Welt kommt. Das kann bedeuten, sich selbst in Frage zu stellen. Zu prüfen, ob ich mir meinen eigenen Glauben zurechtbiege oder ob ich Jesu Christus nachfolge. Wer sich dem Gott Jesu Christi öffnet, braucht keine Angst zu haben. Nicht vor einem strafenden Richtergott oder einem Big-brother, der alles sieht. Im Gegenteil: Dem barmherzigen Vater darf man sich anvertrauen.
 
Denn beim Christ-Sein geht es nicht darum, perfekt zu sein. Es geht nicht um Moral. Aus Glauben folgt Moral. Es geht nicht um den erhobenen Zeigefinger, sondern darum, dem anderen die Hand zu reichen. Die frohe Botschaft ist nicht wie beim Nikolaus: Gott liebt dich. Aber nur, wenn du immer brav und artig bist! Die Frohe Botschaft der Bibel ist: „Alle Menschen werden das Heil sehen, das von Gott kommt.“ Und dieses Heil kommt in der Person Jesu Christi. Wer ihm den Weg bereitet – wer sich auf ihn einlässt – der erkennt, wer Gott wirklich ist: Gott ist die Liebe. Und weil er mich liebt, kann auch ich lieben – ohne Verlust.
 
Das bedeutet aber nicht, dass Christsein eine Kuschelecke wäre. Wer in Beziehung zu Christus lebt, gestaltet die Welt. So dass jeder Mensch Heimat findet. Wer wirklich das christliche Abendland rühmt, liebt seinen Nächsten wie sich selbst. Der schreit nicht montags auf der Straße, sondern handelt so wie es auch für Jesus Christus Gesetz war. In der Bibel heißt es: „Wenn bei dir ein Fremder in eurem Land lebt, sollt ihr ihn nicht unterdrücken. Der Fremde, der sich bei euch aufhält, soll euch wie ein Einheimischer gelten und du sollst ihn lieben wie dich selbst; denn ihr seid selbst Fremde in Ägypten gewesen.“ (Lev 19, 33-34).
 
Glaube ist nicht Moral, aber Glaube ist auch keine Kuschelecke. Der Gott Jesu Christi bietet Heimat und fordert auf zum Aufbruch. Beides gehört zusammen. Gerade in der Adventzeit können wir neu zu Gott aufbrechen. Ihm den Weg zu uns frei machen. Was das konkret bedeutet? Dafür gibt es so viele Möglichkeiten, wie es Menschen gibt. Jeder hat eigene Steine, die im Weg liegen. Und jeder geht seinen eigenen Glaubensweg. Aber allen gilt: Alle Menschen werden das Heil sehen, das von Gott kommt. In Jesus Christus ist es uns schon begegnet.
 
(Anne-Marie Eising)