Statio vom 2./3. April 2016 - C2O2016 - Joh 20, 19-31
Liebe
Mitchristen,
letztens erzählte
mir eine junge Frau, wie sich ihr Leben verändert hat. Man könnte es bezeichnen
als Auferstehung hier und jetzt. Es
begann mit einer schweren Krise. Sie fühlte sich wie gelähmt – eingesperrt in
sich selbst. Versunken in einem dunklen Loch. Für die junge Frau war das
Schlimmste: In ihrer Umgebung hatte keiner Verständnis für sie. Freunde sagten:
„Gib dir einen Ruck, reiß dich zusammen.“
Oder: „Du musst mal wieder unter
Leute. Komm mit zur nächsten Party.“ Dabei kostete gerade das ihre ganze
Kraft: In Gesellschaft so zu tun, als ob nichts ist. Nach außen hin zu
funktionieren. Sie war froh, endlich eine Psychotherapie machen zu können. Ein
halbes Jahr lang hat sie darauf gewartet. Von ihrer Therapeutin fühlt sie sich
verstanden und akzeptiert, so wie sie ist. Da muss sie keine Fassade
aufrechterhalten. Keine gute Miene machen zum bösen Spiel. Endlich kann sie ihre
Gefühle sortieren. Und sie lernt: Jedes Gefühl ist o.k. Auch die negativen. Jetzt
kann sie sich erinnern an Verletzungen von früher. Wunden, an die sie nicht
mehr gedacht hat. Die sich aber tief in ihrer Seele eingegraben haben. Ihre Familie
kann sie nicht verstehen: „Was hast du
eigentlich? Dir geht es doch gut. Du kreist ja nur noch um dich selbst.“ Die
Familie sieht nicht die positive Entwicklung: In der Therapie schaut die junge
Frau ihre Wunden an und versteht sich selbst immer besser. Das tut zwar weh,
aber so lernt sie nach und nach, mit ihren Wunden zu leben – sie anzunehmen.
Denn die sind und bleiben ja ein Teil von ihr. Haben ihre Identität geprägt.
Die junge Frau lernt im Laufe der Therapie, sich mit ihrer eigenen Lebensgeschichte zu versöhnen. Den Eltern zu vergeben, die – wie wohl alle Eltern – manches falsch gemacht haben. Sie vergibt der Mutter die Ohrfeige, die dieser vor vielen Jahren herausgerutscht ist. Ungerecht, wie die Tochter damals fand. Lange Zeit hat sie der Seele mehr wehgetan, als der Wange. Sie vergibt auch dem Vater, der sich nie wirklich für sie interessiert hat. Diese Vergebung geschieht einseitig von der Tochter aus – ohne dass es Gespräche mit den Eltern gegeben hat. Doch so kann die junge Frau Frieden schließen mit den Wunden ihrer Vergangenheit. Und das ändert ihr Leben. Sie löst sich von sogenannten Freunden, bei denen sie nie sie selbst sein konnte. – Nicht alle verstehen das. Aber sie gewinnt Vertrauen in eine neue Zukunft. Es fühlt sich an wie ein ganz neues Leben.
Die junge Frau lernt im Laufe der Therapie, sich mit ihrer eigenen Lebensgeschichte zu versöhnen. Den Eltern zu vergeben, die – wie wohl alle Eltern – manches falsch gemacht haben. Sie vergibt der Mutter die Ohrfeige, die dieser vor vielen Jahren herausgerutscht ist. Ungerecht, wie die Tochter damals fand. Lange Zeit hat sie der Seele mehr wehgetan, als der Wange. Sie vergibt auch dem Vater, der sich nie wirklich für sie interessiert hat. Diese Vergebung geschieht einseitig von der Tochter aus – ohne dass es Gespräche mit den Eltern gegeben hat. Doch so kann die junge Frau Frieden schließen mit den Wunden ihrer Vergangenheit. Und das ändert ihr Leben. Sie löst sich von sogenannten Freunden, bei denen sie nie sie selbst sein konnte. – Nicht alle verstehen das. Aber sie gewinnt Vertrauen in eine neue Zukunft. Es fühlt sich an wie ein ganz neues Leben.
Manchmal kann
eine Krise dem Leben eine neue Richtung geben. Zunächst fühlt man sich wie tot.
Vor allem dann, wenn man negative Seiten im Leben verdrängt. Wer dagegen seine
Wunden ansieht, kann eine ganz neue Lebensqualität gewinnen. Vorausgesetzt, man
versöhnt sich mit seiner Lebensgeschichte. Helfen kann dabei ein guter
Begleiter. Das muss kein Therapeut sein. Einfach ein Mensch, der einen versteht
und annimmt, wie man ist. Der einem hilft, der Mensch zu werden, der man
eigentlich ist, sich weiterzuentwickeln und auch: innerlich zu vergeben. Das gibt
inneren Frieden. Neuaufbruch wird möglich. Man könnte auch sagen: Auferstehung
im Hier und Jetzt.
An so ein neues
Leben können die Jünger Jesu noch nicht glauben. Das Evangelium heute berichtet:
Sie haben sich eingesperrt – aus Angst. Fürchten, auch getötet zu werden.
Außerdem fühlen sie sich verraten und verkauft. Mit dem Tod Jesu ist für sie
alles aus und vorbei. Alles, worauf sie gehofft hatten, ist null und nichtig.
Der, der am Kreuz endet, kann niemals mit Gott im Bunde stehen. Doch die
Begegnung mit dem Auferstandenen verändert alles. Er durchbricht
die Isolation. Kommt durch die verschlossene Tür. Doch er fragt nicht: „Was ist los mit euch? Warum habt ihr Angst?
Reißt euch mal zusammen!“ Er versteht sie und akzeptiert sie so wie sie
sind. Hat Verständnis dafür, dass sie ihn nicht sofort erkennen und zeigt ihnen
seine Wunden. Die sind der Beweis für seine Identität. Der Auferstandene trägt
die Identität des Menschen Jesus von Nazareth in sich. Was vor seinem Tod galt,
das gilt jetzt erst recht. Die Jünger schauen seine Wunden an. Da wandelt sich
ihre Furcht in Freude, ihr Unglaube in Glaube. Mitten in der Krise spricht Jesus
Christus den Jüngern zu: „Friede sei mit
euch!“ Das sind die gleichen Worte wie bei seiner Abschiedsrede. Doch der
Friede Christi ist kein Ruhekissen. Er spricht ihnen das Heil Gottes zu. Und das
sollen sie weitertragen: „Wie mich der
Vater gesandt hat, so sende ich euch!“ Dabei haucht er
ihnen im wahrsten Sinne des Wortes neues Leben ein. Ähnlich wie Gott bei der Erschaffung
des Menschen: „Gott blies in seine Nase
den Lebensatem.“ Das erinnert an Erste Hilfe – Wiederbelebung. Nach Ostern
kommt Jesus Christus und haucht seine Jünger an: „Empfangt den Heiligen Geist.“ Den Atem Gottes, die Kraft Gottes.
Beistand für eine neue Lebensqualität. Und Jesus beauftragt sie, diese
weiterzutragen. Anderen zu einem neuen, zu einem heilen Leben zu verhelfen. Und
dies geschieht einzig und allein durch Vergebung. Man könnte sagen: Der
Therapeut Jesus Christus verschreibt als Therapie für das wahre Leben:
Bereitschaft zur Vergebung.
Die ist immer dann
möglich, wenn der Einzelne das will. Zur Versöhnung gehören zwei Parteien. Die
müssen miteinander ins Reine kommen. Sich an einen Tisch setzten. Sich
aussprechen. Das ist aber nicht immer möglich. Vielleicht weil der andere nicht
will, nicht kann oder vielleicht schon gestorben ist. Versöhnung geht nur zu
zweit. Vergeben kann man auch allein – einseitig. Walter Kohl hat das
beschrieben in seinem Buch „Leben oder gelebt werden“. Der Sohn von Helmut Kohl
hat keinen Kontakt mehr zu seinem Vater. Versöhnung miteinander ist nicht
möglich. Aber einseitige Vergebung. Erst nachdem Walter Kohl das möglich war,
konnte er ein unabhängiges Leben führen. War nicht mehr nur der Sohn vom
Kanzler. Möglich war ihm das erst, nachdem er seine Kindheit betrauert hat. Nachdem
er seine Wunden angesehen hat. So ähnlich, wie die junge Frau, von der ich eben
erzählt habe.
Wunden ansehen,
damit neues Leben möglich wird. Das gilt nicht nur für die persönlichen
Lebenswunden. Sondern auch für die Wunden der Welt. Deshalb dürfen Christen
nicht wegsehen. Müssen Leid und Not erkennen und benennen. Wunden sehen aus der
Vergangenheit und der Gegenwart. Zum Beispiel die Wunden des Nationalsozialismus,
der Kreuzzüge, Völkermorde, Gewalt gegen Frauen, Menschenhandel,
Grenzschließungen, brennende Asylbewerberheime, Selbstmordattentate,
Arbeitslosigkeit und, und, und.
Nur wer Wunden
ansieht, kann Not wenden. Nur wer Wunden ansieht, kann irgendwann vergeben –
und damit Leid lindern. Vergeben kann nur, wer loslässt. Wer anderen etwas
nachträgt, bleibt in sich selbst gefangen. Man trägt nur selber schwer an dem,
was man nachträgt. Der Andere merkt es vielleicht nicht einmal. Einseitige
Vergebung durchbricht die Spirale der Gewalt und macht innerlich frei. Das
stiftet Frieden. Den Frieden, den Jesus meint und der von ihm ausgeht. Christen
sind gesandt, Vergebung in die Welt zu tragen. Jeder da, wo er lebt und wirkt. Vielleicht
sagen Sie jetzt: Das ist doch eine Zumutung! Ja, Christus mutet uns das zu! Und
der gibt uns Mut – seinen Heiligen Geist! Die Kraft Gottes. Sie macht Vergebung
möglich. – Neuanfang. Man könnte auch sagen: Auferstehung im Hier und Jetzt.
(Anne-Marie Eising, Pastoralreferentin,
St. Otger, Stadtlohn)